Buntes Treiben empfängt mich, als ich den Schlagbaum durchschreite, den ein Ritter mir augenzwinkernd öffnet. Da ich in Gewandung unterwegs bin, darf ich umsonst passieren. Ich liebe Mittelaltermärkte mehr als alles andere auf der Welt. Die besondere Atmosphäre, die Kostüme, Händler, die versuchen in einer alten Sprache zu sprechen, der Duft nach Fettgebackenem, Gewürzen und Grillfleisch, Holzgeschirr und Tonbecher. Ein Schmied schlägt lautstark auf sein Eisen, ein Feuerspucker unterhält seine Zuschauer, die es sich auf den Strohballen gemütlich gemacht haben, die den kleinen Marktplatz säumen. Ich tauche sofort ein in diese andere Welt ...
… und bewege mich in meiner Rolle als Burgfräulein selbstbewusst durch die Menge. Mein hellgrünes Kleid kontrastiert wunderbar mit meinen rotblonden Haaren, die ich mit einem Holzkamm zu einem Knoten hochgesteckt habe. Mir fehlt nur noch eine hübsche Halskette, dann ist alles perfekt.
So schlendere ich also von Schmuckstand zu Schmuckstand, es gibt zum Glück einige hier. Aber bisher kann mich kein Schmuckstück so recht begeistern. Ein wenig
abseits des Trubels, in einer kleinen Seitengasse, erregt ein kleiner Stand mit einem wilden Sammelsurium an Kleidung, Kerzen, Dekorationsartikeln und Silberschmuck meine Aufmerksamkeit. Es ist
gerade niemand dort, also kann ich mich in Ruhe umsehen. Mein Blick fällt auf eine wundervolle Kette, die geformt ist wie zwei silberne Weidenblätter, in deren Mitte ein schimmernder Bernstein in
der Form eines Tropfens hängt. Sie ist wunderschön und wie für mich gemacht. Ich zögere ein wenig, da ich niemanden um Erlaubnis fragen kann, aber ich muss sie einfach anprobieren. Vorsichtig
nehme ich die Kette von dem schwarzen Samtkissen, auf dem sie präsentiert wird, lege sie mir um den Hals und befestige den Schließmechanismus. Es fühlt sich genau richtig an.
An der Ecke des Standes entdecke ich einen kleinen Spiegel, der antik zu sein scheint. Fast blind und mit einer messingfarbenen Verzierung aus mir unbekannten
Zeichen, die mich an Runen erinnern entspricht er überhaupt nicht meinem Geschmack, aber schließlich soll der Spiegel mir nicht gefallen, sondern lediglich mein Spiegelbild zeigen. Also trete ich
näher heran, um mich und vor allem die Kette zu betrachten. Es ist seltsam, irgendwie sieht das, was der Spiegel zeigt, zwar aus wie mein Spiegelbild, aber irgendwie auch wieder nicht. Ich kann
nicht genau sagen, was mich irritiert, vielleicht liegt es auch nur an der Blindheit des Spiegels, also versuche ich mich auf die Kette zu konzentrieren. Sie sieht an mir so wundervoll aus, wie
ich es mir vorgestellt hatte. Und sie hat genau die perfekte Länge. Der Farbton des Bernsteins ist ein warmes Orangegold und ich prüfe, wie er mit meiner Augenfarbe harmoniert. In diesem Moment
wird mir schlagartig klar, was mich die ganze Zeit irritiert hat. Die Frau im Spiegel hat nicht meine grünen Augen, sondern klare, kalte blaue Augen aus denen sie mich abschätzend anblickt. Wie
kann das sein? Sie ist nicht ich, sie sieht mir nur unglaublich ähnlich. Aber das ist unmöglich, der Spiegel müsste mein Bild zeigen, nicht das einer anderen Frau. Ihr Blick hält meinen gefangen,
als wolle sie ihn nicht mehr loslassen, und ich schaffe es nicht, meinen Blick von dem ihren abzuwenden. Je länger ich in ihre Augen schaue, desto beklommener wird mir zumute, fast, als wolle sie
mich damit beschwören. Ja, sie hat eine bestimmte Absicht, das wird mir mit einem Male klar.
Als ich das erkenne, wird mir schwindlig und die Welt scheint sich vor meinen Augen zu drehen. Ich muss das Bewusstsein verloren haben, denn als ich wieder bei
Sinnen bin, befinde ich mich nicht mehr vor dem Stand, sondern blicke aus dem Stand auf die Gasse. Wie bin ich hierher gekommen? Und wieso habe ich das Gefühl, mich nicht bewegen zu können? Und
warum sehe ich mich selbst vor dem Spiegel stehen? Aber nein, das bin nicht ich, das scheint die Frau zu sein, die ich im Spiegel gesehen habe. Sie lächelt, aber sie sieht nicht zu mir her, als
sie sich umdreht und davon schreitet. Und ich, ich bleibe zurück ...
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